Der russische Angriffskrieg auf die Ukraine hat eine regelrechte Aufbruchsstimmung in der europäischen Sicherheits- und Verteidigungsindustrie (SVI) ausgelöst: Die Nachfrage nach militärischen Gütern, Dienstleistungen und Innovationen ist rasant gestiegen, und auch private Investoren richten ihren Blick verstärkt auf Unternehmen in diesem Sektor (siehe hier).
In dieser Ausgabe unserer Briefingreihe werfen wir einen genaueren Blick auf die regulatorischen Fallstricke, die bei der Beschaffung von Finanzmitteln lauern. Ein brandaktuelles Thema, das insbesondere für Start-ups und KMU angesichts der „Zeitenwende“ und eines zunehmend positiven Geschäftsklimas von Bedeutung ist. Erfahren Sie, wie Sie trotz der Vielzahl an nationalen und europäischen Vorgaben sicher durch den Regulierungsdschungel navigieren können.
Günstige Rahmenbedingungen für SVI
Der schnell angewachsene Verteidigungshaushalt räumt Unternehmen der SVI günstige staatliche Finanzierungsmöglichkeiten ein. Die von Politico im August 2024 geleakte Entwurfsfassung der am 4. Dezember 2024 vom Kabinett beschlossenen „Neuen Sicherheits- und Verteidigungsindustriestrategie für die Zeitenwende“ (NSVS) lässt vermuten, dass sich an dem positiven Geschäftsklima der SVI auch künftig wenig ändern wird. Im Fokus der NSVS stehen unter anderem der Abbau rechtlicher und bürokratischer Hürden und die Erleichterung des Zugangs zum Kapitalmarkt – etwa durch die Anpassung der ESG-Pflichten von Finanzinstituten (hier geht es zu unserem Briefing zu den neuen ESG-Pflichten für Unternehmen der SVI). Es bleibt abzuwarten, welche konkrete Form die Sicherheits- und Verteidigungsstrategie einer neuen Bundesregierung annehmen wird.
Private Finanzierung und Investitionsprüfung
Für Start-Ups und Newcomer in der SVI bietet sich insbesondere in der Anfangsphase der Geschäftsentwicklung die Zusammenarbeit mit Venture-Capital- oder Private-Equity-Investoren an. Neben der kartellrechtlichen Fusionskontrolle ist hierbei in Fällen, in denen ein Investor aus dem Ausland in ein Unternehmen der SVI einsteigt, die nationale Investitionsprüfung zu beachten:
Hält ein ausländischer Investor nach dem Erwerb seiner Beteiligung mehr als zehn Prozent der Stimmrechte an dem Zielunternehmen aus der SVI, muss der Erwerb dem Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) gemeldet werden. Das BMWK prüft dann, ob der Erwerb wesentliche Sicherheitsinteressen der Bundesrepublik Deutschland voraussichtlich beeinträchtigt. Als „herausfordernd“ wird vor allem das Spannungsfeld zwischen den wirtschaftlichen Expansionsbemühungen drittstaatlicher Unternehmen und der Gefahr des Technologieabfluss angesehen. In den meisten Fällen äußert das BMWK jedoch keine Bedenken und gibt grünes Licht (2023 hat das BMWK nur in vier Prozent der gemeldeten Fälle erwerbsbeschränkende Maßnahmen erlassen). Es ist allerdings zu beachten, dass der Vollzug des Erwerbs (Closing) verboten ist, bis das BMWK den Erwerb genehmigt. Für Start-ups oder KMU, die schnell Geld benötigen, kann das Prüfverfahren zu lange dauern. In diesem Fall müssen die Parteien über alternative Wege, wie z.B. Wandeldarlehen nachdenken.
Staatliche Förderung und Beihilfenrecht
Eine weitere Möglichkeit, Geld zu generieren, stellt die Teilnahme an staatlich geförderten Projekten dar. Nationale Förderung einzelner Unternehmen und Projekte der Privatwirtschaft müssen das europäische Beihilfenrecht beachten. Die Bundesregierung muss die Unterstützung von einzelnen Unternehmen mit staatlichen Mitteln bei der Europäischen Kommission (Kommission) notifizieren. Die Kommission ist zwar tendenziell zurückhaltend bei der Überprüfung von Beihilfen an die SVI, da das Unionsrecht den Mitgliedstaaten einen erheblichen Entscheidungsspielraum bei der Wahrnehmung nationaler Sicherheitsinteressen gewährt. Bis die Kommission die Beihilfe genehmigt, darf sie jedoch nicht gewährt werden (Stillhaltegebot).
Daneben besteht die Möglichkeit der Inanspruchnahme von EU-Fördermitteln – etwa aus dem Europäischem Verteidigungsfonds (EDF), der für grenzüberschreitende Kooperationsprojekte der SVI für die Jahre 2021 bis 2027 rund EUR 7,95 Mrd. für die Erforschung und Entwicklung von „verteidigungsbezogenen Produkten und Technologien“ bereitstellt oder durch die Europäische Investitionsbank (EIB).
Die EIB hat in den letzten Jahren ihre Unterstützung für die europäische Sicherheits- und Verteidigungsindustrie erheblich ausgeweitet. Ziel ist es, die Verteidigungsfähigkeiten Europas zu stärken und die technologische Souveränität zu fördern. Im Mai 2024 richtete die EIB ein spezielles Büro für Sicherheits- und Verteidigungsprojekte ein. Dieses dient als zentrale Anlaufstelle für Unternehmen und öffentliche Stellen, die Finanzierungen und Beratungen im Verteidigungssektor suchen. Im Juni 2024 kündigte die EIB an, ihre Investitionen in dem Verteidigungssektor um zusätzliche 6 Milliarden Euro auf insgesamt 8 Milliarden Euro zu erhöhen. Zudem hat die EIB ihre Finanzierungsrichtlinien angepasst, um Projekte mit doppeltem Verwendungszweck (Dual-Use) zu unterstützen. Im Oktober 2024 intensivierten die EIB und die EDA ihre Partnerschaft, um gemeinsam Sicherheits- und Verteidigungsprojekte in der EU zu identifizieren, die für eine Finanzierung geeignet sind.
F&E-Aufträge für die Bundesregierung
Forschungsprogramme der Bundesregierung bieten eine weitere oft genutzte Möglichkeit für Unternehmen, mit staatlicher Unterstützung in der SVI Fuß zu fassen oder sich besser zu positionieren. Insbesondere das Bundesamt für Ausrüstung, Informationstechnik und Nutzung der Bundeswehr (BAAINBw) vergibt in großem Umfang Forschungs- und Entwicklungsaufträge (2023 beliefen sich die Ausgaben der Bundeswehr für Forschung, Entwicklung und Erprobung von Rüstungsprojekten auf 1,8 Mrd. EUR).
Für die Vergabe von Forschungs- und Entwicklungsaufträge greift das BAAINBw meist auf sein Rahmenvertragswerk zurück – die Allgemeinen Bedingungen für Forschungsverträge mit Industriefirmen (ABFI) und die Allgemeinen Bedingungen für Entwicklungsverträge mit Industriefirmen (ABEI). Abhängig von ihrem Geschäftsmodell sollten Auftragnehmer ein besonderes Augenmerk auf die Standardklauseln zur Verwertung der Forschungs- bzw. Entwicklungsergebnisse legen. So lässt sich die Bundeswehr an allen technischen Informationen und Schutzrechten, die bei der Vertragsdurchführung entstehen, ein nichtausschließliches, unentgeltliches und unwiderrufliches Nutzungsrecht einräumen. Gerade für Unternehmen in der SVI, die Software anbieten, kann das zu weit gehen. Hier müssen in den Vertragsverhandlungen mit dem BAAINBw alternative Regelungen gefunden werden.
Fazit
Die „Zeitenwende“ hat die Sicherheits- und Verteidigungsindustrie zu einem dynamischen Wachstumssektor gemacht, der Unternehmen zahlreiche Chancen bietet. Sowohl staatliche Förderprogramme und Forschungsaufträge als auch die gestiegene Attraktivität für private Investoren eröffnen neue Finanzierungswege. Gleichzeitig sind die regulatorischen Hürden nicht zu unterschätzen: Nationale Investitionsprüfungen, europäisches Beihilfenrecht und spezifische Vertragsbedingungen bei staatlichen Forschungsaufträgen stellen Unternehmen vor komplexe Herausforderungen. Eine vorausschauende Planung und fundierte rechtliche Beratung sind entscheidend, um diese Hürden zu meistern und das Potenzial dieses Marktumfelds mit besonderen Spielregeln voll auszuschöpfen.
BLOMSTEIN behält diese Entwicklungen genau im Blick und unterstützt Sie und Ihr Unternehmen mit der Fokusgruppe Verteidigung und Sicherheit jederzeit gern bei der Navigation durch das regulatorische Dickicht.