In Freihandels- und Präferenzabkommen stecken großes wirtschaftliches Potenzial. Gerade für international ausgerichtete Unternehmen eröffnen sie die Möglichkeit, Zollkosten und andere Export- und Importbeschränkungen zu reduzieren. Die Außen- und Wirtschaftspolitik der Europäischen Union hat sich in den letzten Jahren stark auf bilaterale Präferenzabkommen konzentriert. Denn die WTO und mit ihr der Multilateralismus befinden sich in der Krise. Die Wiederwahl von Donald Trump zum Präsidenten der Vereinigten Staaten im November 2024 hat die protektionistischen Tendenzen in der globalen Handelspolitik weiter verstärkt. Trump plant, umfassende Zölle auf Importe zu erheben, darunter einen allgemeinen Zollsatz von 10 % auf alle Einfuhren sowie spezifisch höhere Zölle auf chinesische und möglicherweise andere Waren. Diese Maßnahmen könnten den internationalen Handel erheblich beeinträchtigen und die Notwendigkeit für die Europäische Union unterstreichen, durch den Abschluss weiterer Präferenzabkommen weltweit stabile und vorteilhafte Handelsbeziehungen zu sichern.
Wirtschaftlich strategische Bedeutung
Durch zollrechtliche Privilegierungen intensivieren sich regelmäßig die Handelsbeziehungen zwischen den Beteiligten eines Präferenzabkommens. So kann die EU gemeinsam mit ihren Partnern Handelsströme und Nachfrage strategisch lenken. Zuletzt hat sie wirtschaftlich bedeutsame Abkommen unter anderem mit der Republik Korea (Südkorea), Japan, Vietnam und dem Vereinigten Königreich geschlossen:
- Das Freihandelsabkommen mit Südkorea war das erste der EU mit einem asiatischen Staat. Seit seiner Anwendung ist der Gesamtumfang des Warenhandels zwischen ihnen signifikant angestiegen, von ca. EUR 63 Mrd. im Jahr 2011 auf ca. EUR 130 Mrd. 2023.
- Am 1. Februar 2019 trat das Freihandelsabkommen zwischen der Europäischen Union und Japan, bekannt als JEFTA, in Kraft. Damit ist eine der international größten Wirtschaftszonen entstanden. Der Umfang der geschaffenen Wirtschaftszone beträgt 30 % des weltweiten BIP. Zum Vergleich: Das Nordamerikanisches Freihandelsabkommen, NAFTA, hat einen Umfang von 28 % des weltweiten BIP. Auch das Freihandelsabkommen zwischen der EU und Vietnam ist strategisch wichtig, da Vietnam Singapur als wichtigster Warenhandelspartner der EU in der ASEAN-Region abgelöst hat.
- Einen spannenden Sonderfall bildet das Vereinigte Königreich. Im Gegensatz zu den anderen Staaten bestand vor dem Abkommen ein enges Verhältnis aufgrund des gemeinsamen Binnenmarkts. Post-Brexit zeichnet sich eine asymmetrische Entwicklung des Handelsvolumens ab. Das Vereinigte Königreich bleibt als das wichtigste Zielland für europäische Exporte nach den USA einer der weltweit wichtigsten Handelspartner der EU. Das Vereinigte Königreich dagegen exportiert wesentlich mehr in Drittländer als in die EU.
Inhaltliche Ausgestaltung
Der Sinn eines Präferenzabkommens liegt darin, dass Erzeugnisse aus dem Partnerland eine bevorzugte Behandlung genießen. Das betrifft insbesondere niedrigere oder abgeschaffte Zölle auf Waren oder Dienstleistungen. So können z.B. vietnamesische Textilien und Bekleidung zollfrei in die EU exportiert werden, sofern sie die Ursprungsregeln des Abkommens erfüllen. Japan hat die Zölle auf europäische Automobilteile abgeschafft, was den Export dieser Produkte aus der EU nach Japan erleichtert.
Ursprungssystematik
Rechtlicher Anknüpfungspunkt für die Präferenzbehandlung ist die Ursprungseigenschaft des Erzeugnisses im jeweiligen Partnerland. In den Präferenzabkommen werden dazu unterschiedliche Ursprungsregeln vereinbart. Diese betreffen vollständige Gewinnung oder Herstellung der Ware, ausreichende Be- oder Verarbeitung sowie Kumulierungsmöglichkeiten.
Die Wahl der anzuwendenden Ursprungsregeln hängt davon ab, ob und in welchem Umfang bei der Herstellung Vormaterialien mit Ursprung in der EU, in bestimmten präferenziellen Partnerstaaten oder ohne präferenziellen Ursprung verwendet werden. Alle Präferenzabkommen enthalten eine abschließende Regelung dazu, wann ein Erzeugnis als im jeweiligen Land vollständig gewonnen oder hergestellt bzw. als ausreichend be- oder verarbeitet gilt. Für Unternehmen sind diese Vorschriften höchst relevant. Aufgrund der globalisierten Lieferketten erfolgen die meisten Produktionen arbeitsteilig unter Verwendung verschiedener Vormaterialien. Soweit diese Vormaterialien entsprechend der Vorgaben des jeweiligen Abkommens eine ausreichende Be- oder Verarbeitung erfahren, erhalten sie ihren Ursprung im Land der Verarbeitung. Dadurch kann fallen keine oder reduzierte Zölle an.
Daneben beinhalten Präferenzabkommen Kumulierungsregeln. Damit können für die Begründung des Präferenzursprungs Herstellungsvorgänge in unterschiedlichen Staaten zusammen betrachtet und kumuliert (addiert) werden. Es kommt dann nicht länger auf eine ausreichende Be- oder Verarbeitung der genutzten Vormaterialien an. Je nach Abkommen kommen unterschiedliche Kumulierungssysteme in Betracht. Zur Veranschaulichung: Die EU und Japan haben sich z. B. für ein System der vollständigen bilateralen Kumulierung entschieden, Art. 3.5 JEFTA. Verwendet ein in der EU ansässiger Automobilhersteller beispielsweise bei der Produktion Vormaterialen mit Ursprung in Japan, gelten diese als Ursprungserzeugnis der EU (bilaterale Kumulierung). Vollständige Kumulierung bedeutet, dass alle Be- oder Verarbeitungsschritte, die innerhalb der Präferenzzone stattfinden, zusammengerechnet werden.
Toleranzen
Im Sinne einer arbeitsteiligen Produktion und aus praktischen Erwägungen sehen Präferenzabkommen darüber hinaus Toleranzklauseln vor. Zur Veranschaulichung: Die EU und Südkorea haben in ihrem Freihandelsabkommen eine Toleranzklausel von 10 % vereinbart. Nutzt also z. B. ein europäischer Maschinenhersteller Vormaterialen, die aus einem Drittstaat stammen, könnte er bei strenger Anwendung der Kumulierungsregeln die Maschinen nicht mit Präferenzstatus nach Südkorea exportieren. Beträgt der Anteil des fraglichen Vormaterials an der Ware jedoch maximal 10 %, erfährt sie wegen der Toleranzklausel trotzdem Präferenzbehandlung.
Ursprungsnachweis
In der Praxis erfolgt die Präferenzbehandlung importierter Waren nicht automatisch, sondern setzt häufig einen entsprechenden Antrag bei der zuständigen Behörde voraus. Der Anmeldung ist ein ordnungsgemäßer Ursprungsnachweis gemäß den Formvorschriften des jeweiligen Abkommens beizufügen. Klassischerweise stellt die zuständige Behörde des Ausfuhrstaates ein Ursprungszeugnis aus. Aber auch nicht förmliche Nachweise sind möglich. So genügt etwa nach den Abkommen zwischen der EU und Japan sowie mit dem Vereinigten Königreich eine Selbstzertifizierung. Vor Antrag auf Präferenzbehandlung muss die Erklärung vorliegen.
Bedeutung für Unternehmen
Gerade in Zeiten, in denen höhere Zölle durch den kommenden US-Präsidenten Trump drohen, bieten Präferenzabkommen Unternehmen erhebliche wirtschaftliche Vorteile, insbesondere durch die Möglichkeit, Zollkosten zu reduzieren und den Marktzugang zu erweitern. Um diese Vorteile optimal zu nutzen, ist es für Unternehmen essenziell, die spezifischen Ursprungsregeln jedes Abkommens genau zu kennen und ihre Einkaufs- sowie Produktionsstrategien entsprechend anzupassen. Dies beinhaltet die sorgfältige Auswahl von Lieferanten und Vormaterialien, um sicherzustellen, dass die Endprodukte die festgelegten Ursprungsanforderungen erfüllen und somit für Präferenzzölle qualifiziert sind. Eine unzureichende Beachtung dieser Regeln kann dazu führen, dass Waren nicht als ursprungsberechtigt gelten und somit die vorgesehenen Zollvergünstigungen – ggf. auch rückwirkend – entfallen. Daher sollten Unternehmen ihre internen Prozesse und Lieferketten regelmäßig überprüfen und gegebenenfalls anpassen, um die Vorteile der Präferenzabkommen voll auszuschöpfen und ihre Wettbewerbsfähigkeit auf internationalen Märkten zu steigern
Die EU beabsichtigt mithilfe weiterer strategischer Partnerschaften, die Versorgung mit kritischen Rohstoffen sicherzustellen und auch gegen China konkurrenzfähig zu bleiben. In 2024 sind zwei weitere Präferenzabkommen mit Neuseeland und Kenia in Kraft getreten, andere bahnen sich langsam an, etwa mit Thailand, Indonesien oder den Mercosur-Staaten.
BLOMSTEIN wird die Entwicklungen im Zollrecht gerade mit Blick auf Präferenzabkommen der EU aufmerksam verfolgen. Bei Beratungsbedarf zur Bestimmung des Warenursprungs, der korrekten Anwendung von Kumulierungsregeln, Erstellung von Nachweisdokumenten und darüber hinaus wenden Sie sich gerne an Dr. Roland M. Stein und Dr. Leonard von Rummel.